Dipl.-Theologe Karsten Jung referierte am 12.12.2002 über: Jesus von Nazareth aus historischer Perspektive
Im Rahmen der Vortragsreihe "ALS-Akademie" referierte der Diplom-Theologe Karsten Jung, ehemaliger Schüler der Alten Landesschule (Abitur 1995) und jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität Berlin, über das Thema "Jesus von Nazareth in historischer Perspektive". Der Musiksaal des Gymnasiums war voll besetzt, als der Referent seinen wissenschaftlich fundierten Vortrag hielt. Eingehend auf biblische Quellen und außerbiblische Darstellungen, nannte er zwei Kriterien der Jesusforschung. Zum einen das "Differenzkriterium": Was weder aus jüdischer Tradition noch aus der Gemeindefrömmigkeit erklärbar ist, ist authentisch. Zum anderen das "Plausibilitätskriterium": Authentisch ist, was auf dem Boden Galiläas zur Zeitenwende plausibel ist. Nach aktuellem Erkenntnisstand lebte Jesus von 7 v. Chr. bis 30 n. Chr. Er hatte eine gemischte Anhängerschaft: einfache Leute wie Fischer und Zöllner, aber auch reiche Männer und sogar Frauen. Johannes, Bußprediger am Jordan, taufte ihn. Dieses Erlebnis bedeutete wahrscheinlich eine tiefe religiöse Erfahrung für ihn. In der Folgezeit laufen Johannes-Jünger zu Jesus über, Gemeinsamkeiten in der Johannes- und Jesusbewegung liegen in der Verkündigung vom Reich Gottes. Zwei Gesichtspunkte sind wesentlich: die Vorstellung dieses Reiches als eines umfassenden Heilszustands, der nicht beschrieben werden kann, da er nicht mythologisch ist, und die Aufforderung Jesu zur Umkehr: Tu Buße! Liebe deinen Nächsten bzw. deine Feinde! Die Forschung bewertet beide Elemente unterschiedlich: Die europäische Forschung neigt dazu, die Verkündigung des Gottesreiches als Schwerpunkt anzusehen. Jesus ist danach ein Prediger der Endzeit. Die amerikanische Forschung gewichtet den zweiten Punkt, die Ethik, stärker. Damit wird Jesus zu einem jüdischen Weisheitslehrer. Gegner Jesu sind u. a. die Pharisäer, hingerichtet wird er durch die Römer auf Betreiben der Tempelaristokratie. Von den biblischen Geschichten werden zumeist als historisch angesehen; Tempelkritik, Kontakt zur Bewegung Johannes des Täufers, Teile der Passionsgeschichte, Elemente zur Verkündigung. Anhand von Bildern erläuterte der Referent archäologische Zeugnisse aus der Zeit Jesu. Nazareth war ein armes, bäuerliches jüdisches Dorf in der Nähe der "Großbaustelle" Sepphoris. Diese Residenz des galiläischen Herodes Antipas, zur Zeit Jesu gebaut, lag nur sechs Kilometer von Nazareth entfernt. Möglich ist, dass Joseph, der Vater Jesu, dort als Zimmermann tätig war und Jesus selbst dieses Handwerk erlernte Auch Kapernaum war eine rein jüdische Siedlung ohne römische Elemente, ein reines Fischerdorf. Hier wurde 1986 ein Boot aus dem l. Jahrhundert gefunden, das so genannte "Jesus-Boot". Viele biblische Geschichten sind mit der Erfahrungswelt der Fischer am See Genezareth verbunden. Die Fischerei bildete den Lebenserwerb der Menschen in Kapernaum. Hier entdeckte man auch ein Kirchengebäude aus dem 5. Jahrhundert, basierend auf Mauern des l. Jahrhunderts. Vermutet wird dort das Haus des Petrus, in dem Jesus eine Art Heimstätte hatte. Jerusalem wurde von Herodes zu einer großartigen Stadt ausgebaut, was die Bilder eindrucksvoll belegen. Der Tempelkult spielte hier eine zentrale Rolle für die jüdische Theologie; er stand im Zentrum der Kritik Jesu. Dieser wandte sich gegen jede bloß äußere Form der Frömmigkeit: entscheidend sei die innere Einstellung. Zeitgleich mit Jesus gab es eine ganze Reihe von Gruppen, die sich sowohl gegen den äußerlichen jüdischen Kult als auch gegen die Besatzung durch die Römer wandten. Eine dieser Gruppen war die Jesus-Gruppe, eine andere die der gewaltbereiten Zeloten. Ihr letzter Rückzugspunkt, die Festung Masada am Toten Meer, wurde nach kollektivem Selbstmord im Jahr 74 von den Römern erobert. Eine Form gewaltfreien Widerstands übte die Sekte von Qumran. Dort finden sich klösterliche Anlagen, die 1947 entdeckt wurden. Das Leben der Qumran-Sekte weist Parallelen zur Jesus-Gruppe auf. So führte diese Sekte rituelle Reinigungsbäder vor Mahlzeiten durch, die eine Parallele in Taufe und Abendmahl haben. Sie ist jedoch von eher geringer Relevanz für die Jesus-Forschung, sie belegt aber die Vielfalt jüdischer Gruppen zur Zeitenwende. Nach der Erläuterung dieser historischen Stätten zeigte der Referent auch ein Bild des Skeletts eines Gekreuzigten, bei dem noch Nagel und Holz erhalten waren. Dieser Fund Anfang der 90er Jahre ist für die Forschung von großem Wert. Im l. Jahrhundert wurden Tausende auf diese Weise umgebracht, nach dem jüdischen Krieg 70 bis 500 täglich. Die Hände wurden ans Kreuz gebunden und Fußgelenke mit Nagern angeschlagen. Meist handelte es sich um Angehörige armer Schichten, die nach ihrem qualvollen Tod verscharrt wurden. Am Punkt der Auferstehung zeigt sich die Grenze der historischen Forschung. Man kann weder beweisen, dass die Auferstehung erfolgt ist, noch dass dies nicht der Fall war. Was genau vor rund 2000 Jahren mit dem Begriff Auferstehung gemeint war, kann heute nicht mehr geklärt werden. Dazu Karsten Jung: Vielleicht ist Auferstehung der Versuch, zum Ausdruck zu bringen, dass sich im Verhältnis Gott -Welt etwas geändert und dass diese Änderung über den Tod Jesu hinaus Bestand hat. (Quelle: WLZ vom 30.12.02)
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